Halbe Fachwoche

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Froschkönig – eine Märchendeutung

Am letzten Tag unserer Deutsch-Blockwoche befassten wir uns mit der Deutung von Volksmärchen. Zuerst deuteten wir gemeinsam mit Frau Pabst und Frau Schibli „Rotkäppchen“, anschliessend mussten wir es selbst versuchen. Wir erhielten eine genaue Anleitung, wie man ein Märchen Schritt für Schritt deutet. Meine Gruppe deutete „Froschkönig“, erstmals aufgeschrieben von den Gebrüdern Grimm. Auch wenn man bedenkt, dass die Menschen damals wahrscheinlich nicht mehr als die Moral weitergeben wollten, ist es faszinierend, zu entdecken, was für eine Botschaft unbewusst in der Geschichte eingeflochten ist. Ich schreibe diese Deutung auf in der Hoffnung, dass jemand Lust bekommt, das alte Märchenbuch aus dem Keller zu holen und sich die einzelnen Geschichten nochmals genauer anzusehen.
Am Anfang spielt die junge Prinzessin mit ihrer goldenen Kugel am Rand des Brunnens, welcher dunkel und unheimlich ist. Das Hineinfallen der Kugel in den Brunnen könnte man als Eintauchen in das Unbewusste deuten, und das Erscheinen des Frosches als ersten Kontakt mit einem männlichen Wesen. Als Kind ekelt sie sich vor dieser Erfahrung, verspricht dem Frosch trotzdem, dass er, wenn er ihr die Kugel zurückgibt, ihr Geselle werden darf. Selbstverständlich hat sie nicht vor, dies einzuhalten, sie vergisst den Frosch, bis er eines Tages an ihre Tür klopft. Die Prinzessin sträubt sich, doch der Vater zwingt sie, den Frosch hereinzuholen. Der Vater steht für die damalige Moral, eine Gewalt, der sich die Frauen beugen mussten. Kurz darauf bittet sie der Frosch, ihn auf den Stuhl zu heben, dann auf den Tisch, und schliesslich will er aus ihrem Teller essen. Widerstrebend gehorcht sie. Durch das Aufheben vom Boden auf den Tisch wird die langsame Annäherung zwischen ihr und dem Männlichen dargestellt. Der Forderung des Frosches, in ihrem Bett schlafen zu dürfen, verweigert sie sich. Doch wieder befiehlt ihr der Vater, ihr Versprechen einzuhalten. Die Prinzessin nimmt den Frosch in ihr Zimmer, dort wirft sie ihn mit aller Kraft an die Wand ... und, oh Wunder, er verwandelt sich.
Ich denke, dass die Prinzessin den Wunsch, sexuelle Erfahrungen mit Männern zu machen, unterdrücken musste, weil sie als Jungfrau in die Ehe gehen musste. In ihrem Zimmer jedoch, wo niemand sie kontrolliert, kann sie endlich selbst entscheiden, was sie will und was nicht. Sie kann zulassen, dass sie sich nicht mehr ekelt.
Das Märchen zeigt die Entwicklung eines Mädchens zur Frau, und auch den Druck, unter dem die jungen Frauen damals standen. Denn obwohl die Prinzessin die Augen des Prinzen freundlich findet, so ist es doch der Vater, der die Entscheidung trifft, die beiden zu verheiraten.

Sonja Dietschi, 1eM